Cover
Titel
Une vie électrique.


Autor(en)
Ulmi, Nic
Erschienen
Lausanne 2019: Antipodes
Anzahl Seiten
288 S.
von
Jonas Schädler, Historisches Seminar, Universität Zürich

Das Leben ist von Elektrizität durchdrungen. In seinem Buch Une vie électrique geht der Wissenschaftsjournalist und Historiker Nic Ulmi diesem Umstand auf den Grund. Anlass seiner Arbeit war das 90. Jubiläum der Association Cantonale Vaudoise des Installateurs-Électriciens (ACVIE), die ein Buch über die Elektrifizierung und ihr Personal in Auftrag gab. Zum einen zeichnet Ulmi die Elektrifizierungsgeschichte anhand der Sekundärliteratur nach, zum anderen möchte er die Installateure und Elektriker anhand neuen Quellenmaterials und Interviews in den Vordergrund rücken. Das Buch erhebt somit nicht primär den Anspruch, eine Forschungslücke zu schliessen, vielmehr soll es ein Panorama der Schweizer Elektrizitätsgeschichte zeichnen und dieses mit Zeitungsquellen anreichern, um die Rolle der Hintergrundakteure der Elektrifizierung deutlich zu machen.

Der Text ist inhaltlich um fünf thematische Schwerpunkte gruppiert. Im ersten Kapitel stellt Ulmi die wissenschaftshistorischen Hintergründe der Elektrizität dar und erzählt, wie die elektrischen Techniken im ausgehenden 18. Jahrhundert im Dunstkreis von Pseudowissenschaft und Schauspiel, aber auch in medizinischen Versuchen angewendet wurden. Eine gewisse Visibilität habe Elektrizität erst durch die Kohlenbogenlampe erfahren, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfunden wurde. Doch erst Jahre später, mit der Sicherstellung einer konstanten Energiequelle durch den Elektrodynamo, konnte das elektrische Licht 1878 auf der Pariser Weltausstellung publikumswirksam inszeniert werden. In den darauffolgenden Dekaden fand eine rasante Implementierung des elektrischen Lichts statt. Wie Ulmi betont, erreichte die Schweiz bereits 1900 einen vergleichsweise hohen Elektrifizierungsgrad, wobei Strom medienwirksam mit der Energiegewinnung in den heimischen Bergen und der damit verbundenen energetischen Autarkie inszeniert worden sei. Diese Vermarktung der neuen Technik trug viel zur breiten Akzeptanz von Elektrizität bei und schmälerte den anfänglichen Argwohn, der ihr teilweise entgegengebracht wurde.

Im zweiten Kapitel geht der Autor in groben Zügen auf die Elektrifizierung des Heims zwischen 1890 und 1950 ein, indem er beschreibt, wie die ersten Lichtanlagen in Betrieb genommen, Stromanschlüsse im Haushalt installiert und der steigende Energiebedarf durch neue Kraftwerke befriedigt wurden. Neben sichtbaren und namhaften Akteuren der Elektrifizierung, privaten Investoren und öffentlichen Unternehmen, schenkt Ulmi denjenigen Gruppen Beachtung, die einen wichtigen Teil zur Elektrifizierung beitrugen, in bisherigen Darstellungen aber kaum Platz fanden: «ces acteurs plus petits et moins connus» (S. 58), den privaten Installateuren und Verkäufern elektrotechnischer Apparate. In der lokalen Berichterstattung, hauptsächlich aber in den Annoncen verschiedener Tageszeitungen lassen sich Spuren dieser Akteure finden. Der Start des elektrischen Lebens manifestiert sich laut Ulmi darin, dass Mechaniker und Händler elektrische Teile oder Kleinmaschinen zum Verkauf anboten. Insbesondere im elektrischen Knopf, der Alarmzwecken und der Fernkommunikation diente, zeigt sich, dass um 1880 eine Nachfrage nach elektrisch betriebenen Geräten einsetzte. Aber auch Werbeanzeigen für Uhren, Telegrafen und Telefone sowie Beleuchtungsanlagen nahmen um 1900 zu, woraus Ulmi schliesst, dass Privatpersonen hauptsächlich über solche Kleinstapplikationen erstmals mit Elektrizität in Kontakt kamen.

Das letzte Drittel des Buches verteilt sich auf drei kurze Kapitel, in denen verschiedene Akteure der Elektrifizierung und der Übergang zur Nuklearenergie behandelt werden sowie abschliessend ein Rückblick auf die Arbeit der Elektroinstallateure und Elektrikerinnen der letzten 100 Jahre geleistet wird. Insbesondere dieses letzte Kapitel gibt einen interessanten historischen und aktuellen Einblick, wie diese Berufsgruppe anfangs wenig wahrgenommen wurde, ihre Position aber durch gewerkschaftliche Selbstorganisation zunehmend ausbauen konnte. In vermehrter Pressepräsenz nach 1910 zeigt sich, dass für die Branche ein Kampf um Tarife, Zulassungen und gegen Lohndumping diskursiv an Bedeutung gewann. Den Wandel der Arbeit macht Ulmi schliesslich deutlich, indem er anhand der ACVIE aufzeigt, wie sich das Berufsfeld von Elektrikern und Elektrikerinnen über 100 Jahre stetig veränderte und erweiterte. Bedeutende Änderungen brachte die Digitalisierung und Elektronik ab den 1960er Jahren sowie der Übergang zu erneuerbarer Energie in den 1990er Jahren, was die Installationen im Haushalt veränderte, beispielsweise durch den Einbau von Photovoltaikanlagen. Für dieses letzte Kapitel führte Ulmi Interviews mit mehreren Berufstätigen und skizziert anhand dessen eine Rundschau zur Veränderung derer Arbeit.

Nic Ulmis Vorhaben, einen Überblick über die aktuelle Forschung zur Elektrifizieungsgeschichte der Schweiz zu liefern und mit eigenen Recherchen zur Rolle der wenig beachteten Elektroinstallateurinnen und -installateure zu verknüpfen, vermag leider nicht ganz zu überzeugen. Die Verbindung bereits vorhandener Forschung mit der punktuellen Fokusverschiebung auf die Geschichte der Installationsbranche ist stellenweise verwirrend arrangiert, insbesondere weil der Grossteil des Textes deutlich auf Sekundärliteratur basiert, die hauptsächlich das 19. und frühe 20. Jahrhundert behandelt. Zudem fehlt dem Vorhaben letztlich die Quellenbasis, da der Autor darauf verzichtet, nebst Zeitungsartikeln und Interviews weitere Quellen hinzuzuziehen.

Nichtsdestotrotz besteht eine Leistung des Buches darin, dass die vorhandene Forschung zur Elektrifizierungsgeschichte der Schweiz zusammengetragen und zu einer gut lesbaren und ansprechend gestalteten Synthese arrangiert wurde. Angereichert mit illustrativen Bildern ist ein durchaus interessantes Buch entstanden, dessen Lektüre einen schnellen und aktuellen Überblick über die Schweizer Elektrifizierungsgeschichte ermöglicht.

Zitierweise:
Schädler, Jona: Rezension zu: Ulmi, Nic: Une vie électrique, Lausanne 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (2), 2020, S. 326-327. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00063>.

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